Leseprobe: Ayn RandRands MoralphilosophieDie objektivistische Meta-Ethik Dieses Kapitel wird sich auf Ayn Rands Begründung der Ethik und auf die Darlegung ihres ethischen Egoismus’ konzentrieren. Metha-Ethik ist jener Teil der Epistemologie, der sich mit der Frage befasst, ob und wie wir wissen können, was richtig und was falsch ist, und ob ethisches oder moralisches Wissen existiert. Rand vertrat den Kognitivismus – den Standpunkt, dass ein solches Wissen möglich ist. Nachdem sie in dieser Position gefestigt war, arbeitete sie an der Darlegung ihrer Version der Ethik des Egoismus, der Ansicht, dass es der Zweck der Ethik ist, das eigene menschliche Glück zu sichern. Rand beginnt ihre Untersuchungen der Ethik mit der Feststellung, dass „als Voraussetzung eines jeden Versuchs, ein spezifisches ethisches System zu definieren, zu beurteilen oder zu akzeptieren, folgende erste Frage beantwortet werden muss: Warum braucht der Mensch einen Wertekodex?“ Sie fügt hinzu: „In der Ethik muss man mit den Fragen beginnen: Was sind Werte? Warum braucht der Mensch sie?“ Rand zufolge existiert Ethik, um uns als Leitfaden für ein erfolgreiches Leben als menschliche Individuen zu dienen. „Welches ... sind die richtigen Ziele, die ein Mensch anstreben sollte? Welche sind die für sein Überleben notwendigen Werte? Das ist die Frage, die von der Wissenschaft der Ethik zu beantworten ist. Und das ist der Grund, weshalb der Mensch einen ethischen Kodex benötigt. ... Ethik ist für das Überleben des Menschen eine objektive, metaphysische Notwendigkeit – abhängig weder vom Übernatürlichen, noch von deinem Nachbarn, noch von deiner Laune, sondern von der Realität und der Eigenart des Lebens.“ Wenn es stimmt, dass aufgrund des Wesens menschlichen Lebens Werte unverzichtbar sind, wird damit bewiesen, dass Werte einen kognitiven Status haben, ebenso, wie sie ihn zum Beispiel in den spezialisierteren Wissenschaften der Ernährung oder der Medizin haben. Beide Disziplinen beschäftigen sich mit Werten. Wenn eine Diät oder eine Medikation verschrieben wird, basieren diese Rezepte auf Tatsachen, einschließlich der Tatsache, dass einige Dinge für das menschliche Wohlergehen besser sind als andere. Also ist es in diesen Bereichen selbstverständlich, dass man entdecken kann, was Werte sind, was für die körperliche Gesundheit gut und was für sie schlecht ist. Rand argumentiert, dass in Bezug auf das gesamte Wohlergehen das selbe gilt. Natürlich setzt dies voraus, dass das Leben als menschliches Wesen das Ziel konsistenter Handlungen ist, genau wie medizinische Werte voraussetzen, dass Gesundheit das Ziel konsistenter medizinischer Handlungen ist. Jenen aber, die dies als eine Art Subjektivismus betrachten – schließlich hätte man etwas anderes als das Leben wählen können –, würde Rand antworten, dass die Ethik für jene, die den Tod wählen, bedeutungslos ist. „Der Wertemaßstab der objektivistischen Ethik – der Maßstab, mit dem man das Gute oder Böse beurteilt – ist das menschliche Leben, oder: das, was für das Überleben des Menschen als Mensch notwendig ist.“ Und, um Rands Hauptfigur John Galt, der für sie in dieser und anderen Angelegenheiten spricht, zu zitieren: „Es gibt im Universum nur eine grundlegende Alternative: Existenz oder Nichtexistenz – und sie gilt für eine einzige Klasse von Entitäten: den lebenden Organismen.“ Da Menschen, um sich zu führen, Entscheidungen treffen müssen, ist ihre grundlegende Entscheidung jene, ob sie leben oder nicht leben, existieren oder nicht existieren wollen. Wenn diese Entscheidung einmal getroffen ist, verlangt die Konsistenz, dass sie sich nach dem ethischen Kodex richten und verhalten, der für die Art lebender Entität, die sie sind, nämlich rationale Lebewesen, der richtige ist. Rand ist übrigens insofern einzigartig unter den klassischen Liberalen – jenen, die eine sozio-politische Philosophie vertreten, wonach Gemeinschaften das Prinzip individueller (negativer) Rechte auf Leben, Freiheit und Eigentum übernehmen müssen –, dass sie glaubt, dass Aussagen mit moralischer Tragweite nachweisbar wahr oder falsch sein können. Randianischer Individualismus ist nicht von der subjektivistischen Sorte, über die man so viel hört, wenn Ökonomen über das amerikanische politische System des Kapitalismus sprechen und wenn Gegner es kritisieren. (Rand ist auch insofern einzigartig, dass sie die Idee des freien Willens ausdrücklich verteidigt, allerdings kurz und hauptsächlich in den Werken Nathaniel Brandens.) |