Lichtschlag Bücher

Leseprobe: Das 68er Kochbuch

Zensurkompott

Das Zensurkompott zählt bei den 68ern zu den beliebtesten Desserts jeder feierlichen Runde, weil es dafür sorgt, dass die Feier weitergeht, obwohl es längst an der Zeit wäre, mit dem großen Reinemachen zu beginnen. Doch wer will das schon, wenn man gerade auf dem Höhepunkt der tollen Stimmung ist. Die 68er achten daher sehr genau darauf, dass niemand außer ihnen Zutritt zum Saal erhält und ohne ihre Billigung zu putzen anfängt.

Es gibt zwei Arten von Zensurkompott:

  • Das gemeine Allerweltszensurkompott, das die 68er von ihren vielen Delegationsreisen zu nah- östlichen und sonstigen weltweiten Dikatoren bei uns eingeschleppt haben. Bei dieser Variante weist man grundsätzlich jede Kritik schon im Ansatz von sich und schuld ist immer der Bote der Nachricht. Bricht man zum Beispiel auf der Regierungsbank völlig unbekümmert die Verfassung, indem man etwa den Amtseid verrät oder noch mehr, erklärt man einfach jeden, der mahnend auf den Verfassungsbruch hinweist, kurzerhand zum Verfassungsfeind und verbietet ihm das Mahnen per Gesetz. Ein plumpes, aber sehr wirkungsvolles Kompott, das trotz seiner Plumpheit in den meisten diktatorischen Staaten jede wirkliche Opposition erfolgreich mundtot gemacht hat.
     
  • Das raffinierte Selbstzensurkompott ist eine Spur eleganter, denn die Opposition verbietet sich dabei das Mahnen gleich von selbst und erspart dadurch der Regierung das immer etwas peinliche Herumgeknüppel auf der Straße. Dieses Kompott hat sich als Standardvariante in den letzten 40 Jahren allerdings nur in Westeuropa durchgesetzt, denn die nah- östlichen, afrikanischen und sonstigen weltweiten Oppositionsbewegungen waren dazu nie feige genug.

Beide Variationen des Zensurkompotts werden mit Gift und Galle gekocht, den wichtigsten Zutaten im Umgang mit jeglicher Opposition. Sind Ihnen Gift und Galle ausgegangen, greifen Sie einfach zu einem Notbehelf und sagen Sie öffentlich Ihre Meinung. Besorgen Sie sich dann am nächsten Morgen die Lokalzeitung und nehmen Sie das Gift und die Galle aus dem dortigen Kommentar zu Ihrer Meinung. Normalerweise sollten Gift und Galle dann wieder für ein paar Wochen reichen.

[zurück zum Buch]