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Leseprobe: Ayn Rand

Ayn Rand in der Gegenwart

Ayn Rands Romane und deren Helden ziehen weiterhin weltweit immer neue Leser an. Sie selbst erklärte diese Anziehungskraft im Vorwort zum „Fountainhead“ im Jahre 1968: „Die besten jungen Leute der Menschheit gehen das Leben mit einer unbestimmten, ganz besonderen Erwartung an, mit der Vorstellung, dass ihr Leben wichtig ist, dass man fähig zu großen Leistungen ist und dass große Dinge vor einem liegen. Es liegt nicht in der Natur des Menschen – noch irgendwelcher anderen Lebewesen – ins Leben zu gehen, indem man aufgibt, in sein eigenes Gesicht spuckt und das Dasein verflucht. Einige geben beim ersten leisen Widerstand auf. Einige verraten sich, einige verlaufen sich, verlieren ihr Feuer und wissen dabei nie, wann und wie sie es verlieren. Dann verschwinden sie alle in dem weiten Sumpf ihrer Altvorderen, die ihnen einreden, dass Reife darin bestehe, seine Meinung aufzugeben, dass Sicherheit darin liege, dass man seine Werte aufgibt; dass es praktischer sei, sein Selbstwertgefühl zu verlieren. Doch ein paar halten durch, kommen weiter und wissen, dass die Fackel des Lebens nicht verraten werden darf. Sie lernen, ihm Gestalt, Zweck und Wirklichkeit zu verleihen. Aber was auch immer ihre Zukunft ihnen bringen mag: Am Ende seines Lebens sucht der Mensch eine edle Vision seiner eigenen Natur und seines Lebenspotentials. Es macht nichts, dass in jeder Generation nur ein paar Menschen dem wirklichen Wesen des Menschen und seiner Bestimmung gerecht werden – und dass der Rest dem Menschsein untreu wird. Es sind diese wenigen, die die Welt bewegen und ihrem eigenen Leben Sinn geben – und diese wenigen sind es, die ich immer versucht habe anzusprechen.“

Ayn Rand gehört mit den Millionenauflagen für ihre Werke heute noch zu den meistgelesenen Autoren in den USA und hat viele Menschen stark beeinflusst, weit über die Anhänger des Objektivismus hinaus. So geben viele später prominente Figuren der libertären Bewegung an, in ihrer Jugend maßgeblich von Rands Büchern beeinflusst worden zu sein.

Heute wird Rands Philosophie in den USA von zwei Institutionen vertreten: Erstens vom Ayn Rand Institute (ARI), das nach ihrem Tod gegründet wurde. Zweitens von „The Atlas Society“ (TAS), dem früheren The Objectivist Center (TOC), das sich vom als zu dogmatisch empfundenen ARI abgrenzt und den Objektivismus als „offenes System“ versteht.

Deutliche Meinungsunterschiede zwischen den beiden Lagern gibt es zum Beispiel in der Einschätzung der libertären Bewegung: Während das ARI die „libertarians“ entweder ignoriert oder negativ bewertet, sieht das Objectivist Center die libertäre Bewegung als eine im Allgemeinen positive Bewegung an. In einem Aufsatz für die TOC-Zeitschrift „Navigator“ stellt David Kelley, der Gründer des Objectivist Center, fest, dass der Libertarismus die objektivistische Position in der Politik sei. Dabei schließt er allerdings den Anarchokapitalismus aus, wie er vor allem von Vertretern des Ludwig von Mises Institute und von Wirtschaftsprofessoren wie Hans-Hermann Hoppe und David Friedman vertreten wird. Da auch Ayn Rand einen Minimalstaat für unausweichlich hielt, lehnen heutige Objektivisten zumeist die Vorstellung ab, dass durch konkurrierende Gerichtshöfe und gewinnorientierte Polizeiagenturen ein nicht-monopolistisches Rechtssystem etabliert werden könne.

Den orthodoxen Rand-Anhängern rund um das Ayn Rand Institute werfen Kritiker vor, dass sie nicht nur eine Weiterentwicklung des Objektivismus durch ihren sturen Dogmatismus behindern, sondern sogar einen sektenähnlichen Kult um die Person Ayn Rand betrieben. So stylen sich einige Rand-Fanatiker nach den Romanhelden, die dem „ideal man“ entsprechen. Selbst die erotischen Praktiken von Rand und ihren Romanfiguren werden nachgeahmt, beispielsweise ungestümer und explosiver Sex zwischen einem glattrasierten Idealmann sowie einer pagenköpfigen und goldschmuckbehangenen Frau im Pelzmantel, währenddessen Bach und Ragtime-Lieder laufen sollten und man sich anschließend bei einer Zigarette über das Briefmarkenalbum hermacht.

Viele Randianer haben, so Murray N. Rothbard, tatsächlich ihr gesamtes Sexualleben nach den Randfiguren ausgerichtet, wobei der Liebesakt nicht um seiner selbst willen genossen werden dürfe, sondern als Widerhall und Bekräftigung der Werte der Vernunft genommen werde. Bei so manchen Hochzeiten in der Objektivisten-Hochburg New York sei aus der Heiligen Schrift, nämlich „Atlas Shrugged“, vorgelesen worden. Und so manche Ehe sei daran gescheitert, dass einer der Ehepartner sich nicht „randig“ oder „rational“ genug verhalten habe.

Loyalität zu Rand zeigte sich auch darin, dass man seinen Namen objektivistisch frisierte. Rands junger Freund Nathaniel hatte die Richtung vorgegeben, als er seinen Nachnamen Blumenthal in Branden änderte, möglicherweise ein Anagramm aus „Ben Rand“, was auf hebräisch „Rands Sohn“ bedeutet, was wiederum der Affäre zwischen dem jungen Psychologen und der reifen Philosophendame eine inzestuöse Note geben würde. Namen wie Grand oder Grant waren unter Objektivisten besonders beliebt. Und auch heute noch gibt es Fälle, in denen Rand-Freunde ihren neugeborenen Töchtern Zweitvornamen wie „Ayn“, „Alissa“, „Randy“, „Dagny“ oder in China auch „Yan“ und „Yawen“ geben.

So wie Sektenmitglieder, ob Davidianer oder Manson-Family, meistens die räumliche Nähe zueinander suchen, so tendierten auch die New Yorker Objektivisten dazu, sich möglichst nahe beieinander einzumieten. Ein Großteil der Randgemeinde lebte nur wenige Blöcke voneinander entfernt in Manhattans „East 30“, und die führenden Köpfe der Bewegung ließen es sich nicht nehmen, sogar im gleichen Appartment-Gebäude wie Ayn Rand Quartier zu beziehen.

Die Rand-Bewegung war stets streng hierarchisch geordnet. Nach Rand kam ihr „intellektueller Erbe“ Branden bis zu seiner Verbannung auf Platz zwei. Danach kamen die Jünger, die vor der Veröffentlichung von „Atlas Shrugged“ dazugestoßen waren und sich bereits seit der Lektüre von „The Fountainhead“ als Teil der Bewegung fühlten. Frappierend ist laut Murray N. Rothbard, dass die meisten orthodoxen Jünger mehr oder weniger miteinander verwandt oder verschwägert waren, wobei ein gro- ßer Teil aus dem Dunstkreis der kanadisch-jüdischen Familie von Nathaniel oder Barbara Branden stammte. So ist Leonard Peikoff ein Vetter von Barbara Branden, und Joan Mitchell war die Frau von Nathaniels Bruder Allan Blumenthal. Alan Greenspan wiederum war der Ex-Mann von Joan Mitchell.

Es wäre aber natürlich völlig verfehlt, die eingeschworene Rand-Gemeinde um das Ayn Rand Institute als typisch für die Freunde der Bücher dieser Schriftstellerin anzusehen. Das Phänomen zeigt lediglich, dass kein noch so rationales Ideengeflecht davor gefeit ist, der Neigung der Menschen zu widerstehen, sich bei Gleichgesinnten am wohlsten zu fühlen und diese Verbundenheit rituell zu untermauern.

    Der allergrößte Teil der Rand-Leser in Amerika goutiert jedoch die Kernaussagen der Rand-Prosa, ohne die Verfasserin gleich zur Göttin zu erheben. Wer „Atlas Shrugged“ liebt, der befürwortet den freien Markt und das freie Unternehmertum. Für den Rand-Leser sind nicht Politiker und Feldherren die Helden der Geschichte und der Gegenwart, sondern Erfinder und Unternehmer. Seine Wertschätzung gilt denjenigen, die Wohlstand schaffen, nicht denjenigen, die ihn umverteilen und zerstören.

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