Lichtschlag Bücher

Leseprobe: Warum wir alle reich sein könnten

Zur Einleitung einige Definitionen

    Zur Erklärung meines Themas erscheinen vorab allerdings noch einige kurze definitorische Klarstellungen geboten: Ja, ich bin fest davon überzeugt, daß wir alle reich sein könnten. Und mit „wir“ meine ich alle Menschen, die in Deutschland, in Europa oder wo sonst auf der Welt leben.

    Ich bin deswegen überzeugt davon, weil es hier in Deutschland schon einmal gelungen ist, allgemeinen Wohlstand herzustellen. Obwohl nämlich Hitlers nationaler Sozialismus und zwei Weltkriege Deutschland bis zum 8. Mai 1945 in ein chaotisches Trümmerfeld verwandelt hatten, so herrschte doch nur zwanzig Jahre später im deutschen Westen Vollbeschäftigung. Und obwohl schwerste Lasten des Wiederaufbaus nebst Integration von Millionen Flüchtlingen zu bewältigen waren, gab es Ende der 1960er Jahre keine nennenswerte Staatsverschuldung. Wenn aber wie seinerzeit alle arbeitsfähigen und arbeitswilligen Menschen Arbeit haben und wenn sie hierbei nicht Milliardenlasten staatlicher Schulden tragen müssen, dann liegt ein Zustand des allgemeinen Reichtums, wie ich ihn verstehe, schon in durchaus greifbarer Nähe.

    Wir dürfen bei der hier nötigen Definition natürlich eines nie vergessen: Bei den Begriffen von „Reichtum“ und „Armut“ handelt es sich um wichtige politische Kampfbegriffe. Michael Miersch schreibt: „Die Weltbank definiert Menschen als absolut arm, wenn sie einen Dollar am Tag oder weniger für die Befriedigung von Lebensbedürfnissen zur Verfügung haben. Diese Definition würde auf einen Schlag alle Europäer für reich erklären – ein Desaster für Sozialpolitiker.“ Einen hiervon ganz eklatant abweichenden Armutsbegriff vertritt demgegenüber beispielsweise die Caritas in der Schweiz, von der Matthias Horx berichtet: „Ein Vier-Personen-Haushalt mit monatlichen 4.450,— Schweizer Franken (rund 3.000 Euro) wird als arm eingestuft.“ Die Wahrheit wird wohl – je nach Kaufkraft und Entwicklungsstand der betrachteten Region – irgendwo in der Mitte zwischen diesen Extremata liegen. Zudem läßt sich die Frage nach „arm“ oder „reich“ im Effekt nicht einmal verlässlich in Währungseinheiten ausdrücken. Auch dies wird uns nachstehend noch beschäftigen. In diesem Zusammenhang geht mir eine andere Bemerkung von Robert Heilbroner und Lester Thurow seit einigen Jahren nicht mehr aus dem Kopf. Im Hinblick auf die Entwicklungsgeschichte des menschlichen Wirtschaftens erinnern sie an dies: „Wie sehr gleichen die auf einem Renaissance-Gemälde abgebildeten Kleider und Utensilien, Baumaterialien oder Transportmittel denjenigen auf einer griechischen Vase! Wie gering war der materielle Fortschritt eines ganzen Jahrtausends!“ . Vielleicht ist ein Sozialhilfeempfänger in einer staatlichen Sozialwohnung – mit Warenkorb, Zentralheizung, Kranken- und Pflegeversicherung sowie dem Anspruch auf ein Mindestmaß an kultureller Teilhabe – doch gar nicht so arm, wie es auf unseren heute allgegenwärtigen Wandplakaten zur Propagierung der Mildtätigkeit behauptet wird? Bisweilen helfen bei der Begriffsbestimmung demnach wohl nicht nur rein gegenwartsbezogene oder geographisch vergleichende Blicke, sondern auch historische, um Klarheiten zu gewinnen und Verhältnismäßigkeiten zu wahren.

    In meinem Verständnis ist ein Mensch nach alledem also nicht erst dann reich, wenn er persönlich über mehrere Yachten, Sportmannschaften oder Privatarmeen verfügt. Für mich ist ein Mensch vielmehr durchaus schon dann „reich“, wenn er erstens seine elementaren Grundbedürfnisse auf absehbare Zukunft befriedigt weiß, wenn er darüber hinaus zweitens über eine solche Menge Vermögens verfügt, daß er sich und seiner Familie ernsthafte Herzenswünsche ohne Gefährdung seiner wirtschaftlichen Existenz erfüllen kann und wenn er zuletzt drittens auf der Grundlage sicheren Eigentums und verlässlicher, planbarer Rechtsregeln sein weiteres eigenes Leben entwerfen kann. Daß diese Voraussetzungen nicht durchgängig ohne jede Ausnahme für einen jeden einzelnen Menschen erfüllt werden können, wenn von einer Bevölkerung gesprochen wird, die – wie die Deutschlands derzeit – rund 82 Millionen Menschen umfasst, liegt auf der Hand. Jeder Mensch ist ein Individuum, jedes Schicksal ist unterschiedlich und keine Macht der Welt wäre je fähig, jeden Einzelnen dieser Millionen allen anderen so gleich zu machen wie ein Ei dem anderen. Wer das Gegenteil behauptet, ist schlicht ein Scharlatan. Möge er doch – zum gleichsam spielerischen Nachweis seiner dahingehenden Fähigkeiten – vorab einmal ganz praktisch zeigen, wie er zum Beispiel 82.000.000 Eichen oder 82.000.000 Buchen oder 82.000.000 Trauerweiden quer durch Deutschland allesamt in identische Größe, Farbe, Form und Lebensbedingungen bringt. Scheitert er hierbei, muß über das machtvolle Zurechtstutzen von Menschenlebensläufen wohl nicht mehr debattiert werden.

[zurück zum Buch]