Lichtschlag Bücher

Leseprobe: Markt oder Befehl

Ökonomie als Hure der Politik

     Mit der euphorischen Adaption der Keynes’schen Lehren hat sich die Ökonomie zur Hure der Politik gemacht. Die „Zuhälter“ auf den Ökonomie-Lehrstühlen betonen nicht mehr die Wahrheit, erklären und verteidigen also nicht mehr die unumstößlichen Gesetze der Ökonomie, sondern verkünden das, was die Parteipolitiker und Regierungen am liebsten hören: Sie liefern die angeblich „wissenschaftliche“ Begründung und Legitimierung für die makabre politische Klempnerei an den komplexen Körpern der Volkswirtschaften. Wohin das letztlich führt, kann man seit rund zwei Jahrzehnten am keynesianischen Musterknaben Japan beobachten. Seit 1989 wird dort eine Nachfragestützung um jeden Preis betrieben – mit dem Ergebnis einer von 60% auf mindestens 130% des Sozialprodukts explodierten Staatsschuld, die dazuhin im erwünschten Sinne noch völlig wirkungslos geblieben ist.

     Doch jetzt ist der Patient der Keynes-Klinik fertig, jetzt liegt er in der Intensivstation. Doch nicht genug des Desasters: Jetzt schlägt die Stunde der keynesianischen Leichenfledderer. Dieselben Katheder-Klempner, die zuvor bei jeder Konjunkturdelle und jeder Rezessionsgefahr, bei Zahlungsungleichgewicht oder Wechselkurs-Eskapade eine „makroökonomische Gegensteuerung“ – sprich: Vermehrung der Geldmenge, Senkung der Zinsen und Erhöhung der Staatsausgaben – empfohlen haben, stehen jetzt vor dem Koma-Patienten und diagnostizieren die Notwendigkeit einer Hochfieber-Therapie – sprich: einer massiven Inflationierung.

    Als anschauliches Beispiel folgt ein Originaltext des Präsidenten des Ifo-Instituts für Wirtschaftsforschung und Professors für Nationalökonomie an der Universität München, Hans-Werner Sinn (erschienen im Handelsblatt): „Wenn die Staatsverschuldung schwierig wird, bietet sich eine expansive Geldpolitik an, um die Firmen zu Investitionen zu veranlassen. Leider ist aber auch dieser Weg [in Japan] bereits verbaut, denn die kurzfristigen Zinsen lagen in den letzten Jahren praktisch bei null. Japan steckt in der keynesianischen Liquiditätsfalle. Eine Wirtschaft, die in der Liquiditätsfalle gefangen ist, kann man nicht durch Geldpolitik beleben: Es ist unmöglich, die Nominalzinsen negativ zu machen. Jeder würde es vorziehen, sein Geld zu horten, statt es zu negativen Zinsen zu verleihen. Es gibt allerdings einen Trick, wenigstens die realen Zinsen weiter zu senken. Man muß sehen, daß sich die Wirtschaft bereits vor der Krise an einen Inflationstrend gewöhnt. Wenn die Preise laufend steigen, kann der Realzins durch eine expansive Geldpolitik unter null gedrückt werden, möglicherweise weit genug, um die Wirtschaft in einer Rezession wieder auf Trab zu bringen. Den Japanern ginge es heute besser, wenn sie eine Inflation hätten, doch wenn man erst einmal in der Liquiditätsfalle steckt, läßt sich eine Inflation kaum noch herbeiführen, jedenfalls nicht mittels Geldpolitik. Die einzige reale Möglichkeit, die Japan heute noch verbleibt, ist die Abwertung der eigenen Währung. Diese kann die japanische Notenbank jederzeit realisieren, indem sie neue Yen druckt und am Devisenmarkt für den Kauf von Dollars einsetzt... Mittelbar hilft ... [diese Abwertung], indem sie die Schaffung eines Inflationstrends ermöglicht und der Notenbank in einer temporären Rezession das Mittel eines negativen Realzinssatzes zur Belebung der Investitionen zur Verfügung stellt.“

    Es mag ja sein, daß das Schwein – wenn man es lange genug vergiftet hat – nur noch geschlachtet werden kann, daß man also konkret die Sparer durch Zwangsentsparen und somit heimtük- kische Enteignung zur Bezahlung der Staatsschulden zwingen muß, um den endgültigen Staatsbankrott nochmal hinausschieben zu können. Doch zeugt das vom Zynismus und von der abgrundtiefen Perversion des Keynesianismus, der, wenn er einen Staat erst ruiniert hat, nur noch durch letalen Superkeynesianismus – eine Zeit lang jedenfalls – weiterleben kann. Weil Keynes wußte (oder wenigstens ahnte), wohin seine Kurzfrist-Rezepte langfristig führen, hat er seiner Makro-Klempnerfibel den tröstenden Satz beigefügt: „Langfristig sind wir alle tot.“ Ob es ihm entgangen ist, daß die Formulierung „wir alle“ bestenfalls die Generation umfassen kann, welche den Keynes’schen Schwindel betreibt, und daß einer jeden Generation eine neue folgt, die das Desaster letztlich doch ausbaden muß? Keineswegs war Keynes so einfältig, das zu übersehen. Aber es war ihm wurscht. Sein Zynismus wird nur noch übertroffen von dem seiner gläubigen Nachfahren auf den Lehrstühlen, die es nach fünfzigjähriger Erfahrung mit den real existierenden Volkswirtschaften und ihren politischen „Lenkern“ und Medizinmännern nun wirklich besser wissen und endlich für ein Ende des Spuks plädieren müßten.

Literatur:
Hans-Werner Sinn, Kommentar im Handelsblatt, vom 13. Juni 2001.

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