Leseprobe: Sozialdemokratische ZukunftsbilderNachrichten vom LandeAlle 20jährigen jungen Leute haben sich binnen drei Tagen beim Militär zu stellen. Agnes’ Bruder ist auch darunter. Die „Volkswehr“ soll aufs Schleunigste organisiert und bewaffnet werden. Die inneren Verhältnisse machen die Aufstellung der Volkswehr früher und umfangreicher, als beabsichtigt war, notwendig. Die neuen Landräte in den Provinzen verlangen dringend nach Die Bauern müssen zur Räson gebracht werden. Sie widersetzen sich der Verstaatlichung oder, wie es jetzt amtlich heißt, der Vergesellschaftung ihres Privateigentums an Grund und Boden, Haus und Hof, Vieh und sonstigem Inventar. Solch ein Bauer will durchaus auf seinem Eigenen sitzen bleiben, auch wenn er sich dabei von früh bis spät schinden und plagen muss. Man könnte die Leute ja ruhig sitzen lassen, wenn dadurch nicht die ganze planmäßige Organisation der Produktion für das Reich unmöglich würde. Darum müssen die Unverständigen jetzt zu ihrem eigenen Die Knechte und Tagelöhner auf dem Lande waren zuerst, als die großen Güter, auf denen sie bisher Arbeit fanden, für Nationaleigentum erklärt wurden, sehr bei der Sache. Nun ist aber plötzlich eine sonderbare Veränderungslust in diese Leute gefahren. Sie drängen allesamt nach den großen Städten, womöglich nach Berlin. Hier in der Friedrichstraße und Unter den Linden gewahrteman in den letzten Wochen die wunderbarsten, sonst hier nie gesehenen Gestalten aus den entlegensten Bezirken Deutschlands. Zum Teil sind sie mit Frau und Kind angerückt gekommen, hatten wenig Mittel, verlangten aber Speise und Trank, Kleider und Schuhwerk vom Besten und Teuersten. Sie hätten gehört, dass hier alles in eitel Wohlleben schwelge, wenn es nur wahr wäre! Natürlich müssen jetzt diese Hinterwäldler per Schub in die Heimat zurückgebracht werden, was allerdings viel Erbitterung hervorruft. Das fehlte auch noch, dass sich die Regierung ihre großartige Organisation der Produktion und Konsumtion durch ein beliebiges Hin- und Herwandern der Leute aus der Provinz kreuzen ließe. Bald würden sie wie die Heuschrecken über die hier Es wäre freilich richtiger gewesen, wenn die erst jetzt erlassenen Bestimmungen schon früher gekommen wären, wonach niemand seinen Wohnort zu vorübergehender Abwesenheit ohne Urlaubskarte und zu dauernder Entfernung ohne Anweisung der Obrigkeit verlassen darf. Natürlich soll Berlin auch künftig Besuch und Zuzug erhalten, doch nicht willkürlich und planlos, sondern, wie dies alles der „Vorwärts“ einfach und klar darlegt, nach Maßgabe der sorgfältig aufgestellten Berechnungen und Pläne der Regierung. Der sozialdemokratische Staat oder, wie es jetzt heißt, die Gesellschaft, nimmt die allgemeine Arbeitspflicht ernst und duldet deshalb keinerlei Vagabondage, auch keine Eisenbahnvagabondage. Der „Vorwärts“ bringt auch heute einen sehr scharfen Artikel gegen die sogenannten Dezentralisten, d. h. eine kompromissüchtige Richtung, zu der sich auch viele Berliner Weißbierphilister Gestern hat der Reichskanzler wieder einmal, wie der „Vorwärts“ mit Recht rühmt, in seiner zielbewussten Weise im Reichstag gesprochen, und einen einstimmigen Beschluss erzielt. Es handelte sich darum, ob ein Versuch gemacht werden soll, das platte Land dadurch zu beruhigen, dass das ländliche Privateigentum nicht zugunsten der Gesamtheit in Deutschland, sondern zugunsten sogenannter lokaler Produktivgenossenschaften aufgehoben wird, zu welchen die Einwohner jedes Ortes verbunden werden sollen. „Solche aus Lassalles Zeit herrührenden und bereits 1891 vom Erfurter Parteitag abgetanen Irrtümer sollten doch nicht wieder aufleben. Aus einer solchen Organisation verschiedener Produktionsgenossenschaften würde ja eine selbständige Konkurrenz der einzelnen Orte untereinander mit Notwendigkeit folgen. Der Unterschied der Güte des Bodens in den verschiedenen Landstrichen und Ortschaften würde wieder Unterschiede von Reich und Arm mit sich bringen und damit dem Privatkapitalismus eine Hintertür öffnen. Eine planmäßige Organisation der Produktion und Konsumtion aber sowie eine sachgemäße Verteilung der Arbeitskräfte über das ganze Land duldet keinerlei Individualismus, keinerlei freie Konkurrenz, weder eine persönliche noch eine örtliche Selbständigkeit. Die Sozialdemokratie verträgt eben keine Halbheiten; man will sie entweder ganz oder man will sie nicht. Wir aber wollen sie voll oder ganz zur Wahrheit machen.“ (Lebhafter Beifall.) |