Lichtschlag Bücher

Leseprobe: Der Fall Eva Herman (restlos ausverkauft / aus dem Programm genommen)

Kapitel 3 (Auszug)

Am höchsten ging die Welle der öffentliche Erregung anlässlich Eva Hermans Auftritt in der ZDF-Talkshow Johannes B. Kerners. Was dazu allein in den nächsten Tagen an Presseartikeln und Internet-Blogs geschrieben wurde, würde in einer Bibliothek ganze Regale füllen. Dabei wird allerdings auch viel Falsches kolportiert, und nicht jeder, der über diese Sendung schreibt, scheint sie auch tatsächlich gesehen zu haben. Deshalb macht es Sinn, sich hier noch einmal genauer anzusehen, was an diesem Abend überhaupt geschehen ist.

Vor der Ausstrahlung der Sendung wird Eva Herman auf der Website des ZDF mit folgenden Worten vorgestellt: „Eva Herman (48) und ihre Äußerungen über die familiären Werte und das Dritte Reich sind scharf kritisiert worden. Die Öffentlichkeit reagierte mit heftiger Ablehnung, ihr Umfeld distanzierte sich, und der Arbeitgeber hat sie fristlos entlassen. Rund vier Wochen sind seit den umstrittenen Aussagen bei der Vorstellung ihres Buches ‘Das Prinzip Arche Noah’ vergangen. ‘Der Fall Eva Herman’ – heute bei Kerner!“. Erwähnt werden hier ausschließlich die kritischen Stimmen gegen Herman, nicht die zahlreiche Zustimmung, die sie für ihre Thesen ebenfalls erhalten hat. Dadurch erzeugt die Sendung eine verzerrte Darstellung „der Öffentlichkeit“. Öffentliche Meinung und veröffentlichte Meinung (also das Denken der Bevölkerung und das Denken vieler Journalisten) werden beiläufig gleichgesetzt. Die Sendung soll sich dieser Ankündigung nach um den „Fall Eva Herman“ drehen: nicht um ihre Ansichten, sondern allein um sie als Person, schuldig oder nicht schuldig. Die Bühne für das öffentliche Femegericht ist damit bereitet. Die anderen weiblichen Gäste der Sendung werden als „TV-Legende“ (Margarethe Schreinemakers) sowie „TV-Ikone“ (Senta Berger) vorgestellt. Der Kontrast könnte kaum größer sein. Bezeichnenderweise gar nicht erst eingeladen wurden sämtliche Fachleute zu dem Thema, um das es Eva Herman geht (Familientherapeuten, Bindungsforscher etc. wären denkbar). Stattdessen sind ein Komiker und ein NS-Historiker zu Gast. Dass hier anstelle einer sinnvollen Auseinandersetzung nur Krawall entstehen kann, ist absehbar. Ebenfalls vor Ausstrahlung der Sendung wird an die Presse lanciert, dass Herman an diesem Abend nach ihren Äußerungen von Kerner des Studios verwiesen wird. Implizit legt das die Schlussfolgerung nahe, dass es von Eva Herman ein Fehlverhalten gegeben haben muss, und zwar ein massives: Weder ein Jörg Haider noch ein Franz Schönhuber, und auch kein RAF-Terrorist, wurden jemals aus einer TV-Talkshow herausgeworfen. Was Eva Herman von sich gegeben hatte, musste also, so sollte man nach dieser Meldung annehmen, noch weit verheerender gewesen sein. Die Wahrnehmung der Zuschauer wird auf diese Weise vorbereitend in bestimmte Bahnen gelenkt. Allerdings wird diese Vorab-Berichterstattung bei vielen Zuschauern auch zu einem gegenteiligen Effekt führen, nachdem Herman sich in der Sendung bei weitem nicht so anstößig äußerte, wie man dies zuvor erwarten durfte.

Bemerkenswert ist, in wie vielen vorab veröffentlichten Presseberichten sachlich völlig falsch wiedergegeben wird, was in der Sendung tatsächlich geschehen ist. So heißt es etwa bei „Spiegel-Online“: „Zuvor hatte der Moderator die 48-Jährige immer wieder gefragt, ob sie ihre Äußerungen zu den familiären Werten im Nationalsozialismus heute so wiederholen würde. Doch Herman wich mehrfach aus und ergänzte: Wenn man nicht über Familienwerte der Nazis reden dürfe, könne man auch nicht über die Autobahnen sprechen, die damals gebaut wurden.“ Wie ich auf den folgenden Seiten zeigen werde, stimmt das schlicht nicht mit dem tatsächlichen Verlauf der Sendung überein. Hier wird also bei etlichen Lesern (und nicht zuletzt anderen Journalisten) eine „Realität“ etabliert, die mit den überprüfbaren Tatsachen nichts gemein hat. „Spiegel-Online“ verstärkt die Ausgrenzung Hermans zudem, indem angedeutet wird, ihr Rauswurf sei nicht allein einer persönlichen Wahrnehmung Kerners zu verschulden gewesen. So heißt es: „Auch die drei weiteren Gesprächspartner von Kerner – Schauspielerin Senta Berger, Ex-Talkmasterin Margarethe Schreinemakers und der Komiker Mario Barth – waren mit dem Verhalten Hermans nicht einverstanden“ Sowie: „Auch der Zentralrat der Juden in Deutschland hat sich heute über Herman empört. Das breite Lob (auf dem Katholikenkongress, A.H.) für die wegen ihrer Äußerungen zur NS-Familienpolitik umstrittenen Ex-Moderatorin bedeute ‘nicht nur ein Armutszeugnis für die Teilnehmer, sondern auch eine Ohrfeige für all diejenigen, die sich über 60 Jahre in der Aufarbeitung der Nazi-Diktatur engagiert haben’, sagte Dieter Graumann, der Vizepräsident des Zentralrats der Juden.“ Wer Eva Herman zustimmt, macht sich nach dieser Aussage also schuldig, das nationalsozialistische Denken nicht weit hinter sich zu lassen. Eva Hermans Ausgrenzung ist nach solchen Äußerungen bereits vor der Sendung sehr weit gediehen.

Kommen wir zur eigentlichen Sendung. Diese beginnt damit, dass Kerner das Thema präsentiert, nämlich: „im weitesten Sinne die Rollenverteilung von Mann und Frau. Wir sprechen über Familie, über Emanzipation, über politische Ansätze und auch über Äußerungen in der Öffentlichkeit.“ Dass dies das Thema der Sendung sein soll, sollte man wirklich bis zu ihrem Ende im Hinterkopf behalten.

Als nächstes stellt Kerner seine Gäste vor: „die Fernsehmoderatorin Margarethe Schreinemakers“, die „Mutter von zwei Söhnen“ ist, die „Schauspielerin Senta Berger“, die „auch Mutter von zwei Söhnen ist“, „Deutschlands Frauenversteher Nummer Eins“, der „Comedy-Star Mario Barth“ und zuletzt „Eva Herman, die sich ein wenig verharmlosend über die Familienpolitik im Dritten Reich geäußert hat“.

Das ist doch schön, wenn die Rollen von Anfang an so klar vorgegeben sind: eine Mutter, noch eine Mutter, ein Star und eine Sympathisantin des Dritten Reichs. Überspielt wird diese kleine Unverschämtheit von Kerner durch einen freundlich-jovialen Tonfall und kumpelhaftes Duzen. Dem unbenommen ist schon diese Begrüßung Kerners erste journalistische Blamage in dieser Sendung, denn genau das, was seit Wochen hochumstritten ist, führt er hier ein, als wäre es eine feststehende Tatsache. Das Wahrnehmungsraster, das den Zuschauern damit aufgezwängt werden soll, ist klar.

In einem eingespielten Videoausschnitt wird der „Fall“ kurz angerissen. Dabei ist Eva Hermans Zitat zu hören. Dieses Zitat beginnt nicht mit dem vorhergehenden Satz „Wir müssen vor allem das Bild der Mutter in Deutschland auch wieder wertschätzen lernen, das leider ja mit dem Nationalsozialismus und der darauf folgenden 68er Bewegung abgeschafft wurde“, sondern mit dem darauf folgenden: „Mit den 68ern wurde damals praktisch alles das alles, was wir an Werten hatten, es war ‘ne grausame Zeit, das war ein völlig, hochgefährlicher Politiker, der das deutsche Volk ins Verderben geführt hat, das wissen wir alle, aber es ist damals eben auch das, was gut war, und das sind Werte, das sind Kinder, das sind Mütter, das sind Familien, das ist Zusammenhalt – das wurde abgeschafft.“ Das wird kommentiert mit dem Satz: „Ihr Arbeitgeber zieht darauf die Notbremse“, womit den Zuschauern erneut eine persönliche Interpretation als Tatsache präsentiert wird. Um klären zu lassen, ob der NDR tatsächlich eine „Notbremse“ ziehen musste, hatte Herman am Tag der Sendung juristische Schritte eingeleitet. Um die Auffassung des NDR zu zeigen, wird dessen Programmdirektor Volker Herres das Wort gegeben. Dieser behauptet: „Das Grundgesetz schützt jede Meinung, auch die abwegigste. Diese allerdings war wirklich nicht mehr mit ihrer Aufgabe beim NDR vereinbar“. Hermans Ansicht, hört man da heraus, bewege sich jenseits auch der abwegigsten Meinung.

Kerner richtet seine erste Frage an Eva Herman wie ein Lehrer, der ein kleines Kind befragt: „Was hast du seitdem (seit der Pressekonferenz) gelernt?“ Mit in der Frage ist das Angebot impliziert, dass Herman sich von ihrer Äußerung distanziert. Genau auf dieses Angebot kann sie aber auch schon deshalb nicht eingehen, da sie, wie gesagt, eben deshalb am selben Tag juristische Schritte gegen den NDR eingeleitet hatte, weil sie eine Kündigung als Reaktion auf diese Äußerung als nicht statthaft empfindet. Würde Herman sagen, dass ihre Aussage damals nicht in Ordnung war, würde sie ihre Position stark schwächen. Diese Zusammenhänge sind natürlich auch Johannes B. Kerner klar. Trotzdem wird er Eva Herman im Verlauf der Sendung immer wieder mit solchen Aufforderungen bedrängen. Herman allerdings ist weder auf den Kopf, noch auf den Mund gefallen und erwidert: „Ich habe gerade gelernt, dass du schon wieder eine, genau wie in der letzten Zeit, falsche Äußerung getan hast. Nämlich, du hast gesagt, ich hätte mich missverständlich über die Familienpolitik des Dritten Reiches geäußert, und das habe ich definitiv nicht getan. Ihr habt auch in diesem Fall gerade wieder einen abgeschnittenen Halbsatz gezeigt, der aus dem Zusammenhang gerissen wurde. Das heißt, ich habe gelernt, um jetzt auf die Frage zu antworten, dass das, was berichtet wird, in der Presse häufig zu überprüfen ist, weil es häufig auch nicht stimmt.“ Man darf annehmen, dass Herman als Medienprofi das auch zuvor schon klar war, aber wie heißt es so schön: Wer dumm fragt, bekommt auch eine dumme Antwort.

Kerner macht seinen zweiten Zug in diesem kommunikativen Schachspiel: „Haben nur die anderen Fehler gemacht oder hast du auch Fehler gemacht?“

Das ist eine vergiftete Frage. Wenn Herman erwidert, sie habe Fehler gemacht, schwächt sie ihre Position, wenn sie darauf beharrt, nur die anderen hätten Fehler gemacht, wirkt sie arrogant. Sie zieht sich mit der diplomatischen Antwort „Wir können ja mal das ganze Zitat ansehen“ aus der Affäre, was man ihr später mit dem Vorwurf negativ auslegen wird, sie habe immer nur ausweichend geantwortet. Kerner aber will Herman nicht aus seinem Zangengriff entlassen und hakt nach: „Wir kriegen gleich das Originalzitat. Trotzdem die Frage: Glaubst du, dass du selbst auch Fehler gemacht hast, oder ist es wirklich so, dass alle anderen die Fehler gemacht haben?“

Herman antwortet jetzt ganz klar und unmissverständlich: „Ich habe in diesem Fall keinen Fehler gemacht, und es tut mir leid für die Presse und es tut mir leid für die Menschen, die falsch informiert wurden. Für mich ehrlich gesagt auch, weil es Konsequenzen hatte, die nicht sehr erfreulich sind.“ Der Radioausschnitt wird nach einem kurzen Schlenker im Gespräch jetzt in Gänze eingespielt. Kerner ignoriert bei seiner folgenden Frage die erste Hälfte des Zitates völlig und stürzt sich wieder nur auf die zweite: „War das wirklich gut, was damals war mit Müttern, mit Kindern mit Familien?“

Herman antwortet mit einer Engelsgeduld: „Also noch mal: Das Original zeigt ja ganz klar, dass ich von den Werten, von den Werten sprach, die wir, also wir Menschen, schon vor dem Dritten Reich, während des Dritten Reichs und auch bei den 68ern hatten, die dann abgeschafft wurden. Ich sprach nicht von der Politik des Dritten Reiches, sondern ich sprach von den Werten der Menschen.“

Gesunde Kommunikation funktioniert normalerweise so: A sagt etwas. B ist sich nicht sicher, ob A das sagen wollte, was B verstanden hat, und fragt nach: Wie hast du das gemeint? B erklärt dabei in anderen Worten, was A seiner Meinung nach gemeint hat, und stellt so möglicherweise die Interpretation von A richtig, gibt ihm allerdings Gelegenheit, sich dazu zu äußern – und nimmt eine mögliche Klarstellung auch zur Kenntnis. Nicht so Johannes B. Kerner. Er liest noch einmal das Ursprungszitat vor und versucht, seine Interpretation davon als die richtige durchzusetzen. Da Herman aber am besten wissen wird, was sie mit einer von ihr getätigten Äußerung meint, widersetzt sie sich Kerners Lesart standhaft. (Natürlich ist das nicht Kerners private Lesart, sondern die vieler Journalisten – nachdem Hermans Sätze im „Hamburger Abendblatt“ skandalisiert wurden. Vorher hatte keiner der Anwesenden bei Hermans Pressekonferenz an diesen Sätzen irgendetwas auszusetzen. Letzten Endes ist es Barbara Möller also gelungen, ihre eigenwillige Deutung durchzusetzen: allerdings nur bei vielen ihrer Kollegen, nicht bei der Bevölkerung.)

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