Lichtschlag Bücher

Leseprobe: Lebenswerte (restlos ausverkauft / aus dem Programm genommen)

Hotels

Gewiss, gewiss doch: Die meisten sind wenig einladend. Vor allem die so genannten Bettenburgen an inzwischen nahezu jeder Küste, in Südfrankreich wie am Lido, auf den Balea- wie auf den Kanaren. Auch die gemeinhin fürchterlichen Absteigen in den Städten, die entweder klein, trostlos und muffig sind und keine Zimmer haben, sondern Zellen, oder groß, trostlos und muffig, mit etwas weniger bedrückenden, doch fast immer geschmacklos eingerichteten Zimmern und schlechten Pornos im Bezahlfernsehen.

Und doch liebe ich Hotels. Ich liebe sie per se, noch mehr als Flughäfen, weil man in ihnen dauerhafter verschwinden kann als in jenen. Wohin? Ich würde es die betreute Anonymität nennen. Im Hotel (wie am Flughafen) besitzt der Mensch den wundervollen Status des Vorüberziehenden, Durchreisenden, Nur-vorläufig-Anwesenden. Hier gehört er nicht hin, wie all die anderen Gäste auch nicht, hier kennt ihn niemand, hier schlägt er lediglich ein Nomadenlager auf beziehungsweise es wird ihm aufgeschlagen, weshalb man ihn auch in Ruhe lässt, sofern er nicht nach dem Zimmerservice klingelt. Hier ist er frei. Ein Hotel ist ein temporärer Stützpunkt in der Fremde, eine moderne Karawanserei mit allerlei Versorgungsannehmlichkeiten. Vom Gast wird nichts verlangt, außer dass er seine Rechnung zahlt, er muss nicht einmal die anderen Gäste grüßen, wenn ihm nicht danach ist. Er kann tun und lassen, was er will, kommen und gehen, wann es ihm beliebt, die Rezeption ist besetzt, und die Bar, so vorhanden (aber in der Nähe findet sich immer eine), in der Regel noch geöffnet. Zauberhände haben, während er abwesend war, das Bett aufgeschüttelt, die Dusche gereinigt und die Handtücher ausgewechselt.

Das Hotel ist außerdem ein durch und durch erotischer Ort. In jedem Zimmer treibt es ein Paar miteinander oder liegt ein einsamer Gast und denkt an Sex. Das Hotel ist der ideale Platz für Huren. Es ist anonym, sauber, grenzenlos beschmutzbar und besitzt jenen Reiz des Fremden oder gar Exotischen, der spezielle Lüste geradezu gebieterisch hervorruft. Wo, wenn nicht hier, denkt der einsame Gast. Er denkt es fast zwanghaft. Und geht nach unten, wo die Mädchen sitzen, die schon am Vorabend dort saßen und zwischendurch verschwunden waren und wiederkamen und sich das Make-up nachzogen. Und nimmt sich eine mit aufs grenzenlos beschmutzbare Zimmer, in der Stadt, wo ihn niemand kennt.

Das Hotel ist ein Ort der sinnlichen Transformation, es erotisiert die Frau, subjektiv wie objektiv. Sogar die eigene Frau ist im Hotel eine andere. Ein Paar, dem im Hotel nicht die Lust aufeinander kommt, ist mit sich zu Ende.

Ohne Hotels wäre Reisen noch sinnloser und armseliger, als es heutzutage ohnehin schon ist. Ohne Hotels fänden nicht nur viele erotische und intellektuelle Abenteuer nicht statt, ohne sie wüsste ein Mann auch nicht, wohin er mit einer Frau verreisen sollte, mit der er zum erstenmal verreist. Denn mag er sie auch mit Traumstränden, Landschaften, Kunstschätzen, Einkaufsboulevards locken, er denkt doch immer nur und ausschließlich an das Finale des Tages im Hotel. Er macht die ganzen Faxen nur geduldig mit, um endlich, endlich abends die Zimmertür hinter sich und ihr zu schließen.

Ein Kapitel über Hotels wäre unvollständig, würde man nicht einige derer erwähnen, die auch als architektonisches, wie man sagt, Juwel bestehen können oder die in grandioser Umgebung gelegen sind. Was meine Person betrifft, denn es sind ja meine Lebenswerte, die in diesem Buch zur Rede stehen, und also auch meine Hotelerlebnisse, so werde ich zwei Momente wohl meinen Lebtag nicht vergessen. Der erste: mein Eintritt in das „La Sirenuse“ in Positano, mein Erstaunen darüber, dass dieses angebliche Weltspitzenhotel nur ein kleines Haus mit zwei Etagen war, bis ich begriff, dass dort alles nach unten führte, dass die Etagen an den Berg angeklebt waren wie Schwalbennester – und dann die sich öffnenden Flügel der Lamellentür zum Balkon, das hereinstürzende Sonnenlicht, der Blick auf die Bucht und aufs Meer, in dessen Ferne sich Capri abzeichnete, während die reizende Signorita neben mir, zwecks deren Verführung ich diesen Ort überhaupt aufgesucht hatte, „Herrlich!“ seufzte. Sowie: meine erste Reise nach New York (ich gehörte zu den jahrzehntelang eingemauerten Ostdeutschen und hielt The Big Apple lange für einen eher extraterristrischen Ort), der Abend des Ankunftstages war hereingebrochen, ich stand am Fenster in der 16. Etage des „Mayflower“-Hotels, wo der Broadway den Central Park streift, unter mir das weite Grün des Parks und um diesen herum die sich allmählich illuminierende Skyline, ein Anblick, den ich mindestens eine Stunde still und stumm genoss, bis ich meine Mama in Ostberlin anrief und sie fragte: „Sag mal, weißt du eigentlich, wo ich hier bin?“

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