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Leseprobe: Warum wir alle reich sein könnten

Pippi Langstrumpf und die Finanzverwaltung

    Dem unbefangenen Betrachter will scheinen, als hätten Pippi Langstrumpf und die Finanzverwaltung unseres Landes in etwa soviel miteinander zu tun wie der berühmte Fisch mit dem Fahrrad oder Sydney Rome mit Paris Dakkar. Aber auch hier gilt: Dem genaueren Blick erschließen sich stets die erstaunlichsten Erkenntnisse.

    Inzwischen ist es kein Geheimnis mehr, daß unser Steuerrecht die Heimat mancher Grotesken und Absurditäten ist. Wenn jemand eigenartige Dinge tut und deswegen gesellschaftlich im Verdacht seelischer oder geistiger Fehlentwicklungen steht, so genügt häufig der Hinweis auf „steuerliche Gründe“, um sein Umfeld wieder davon zu überzeugen, daß er durchaus noch zum Kreis der vernünftig handelnden Menschen gehört.

     Eine Darstellung dessen, was steuerrechtlich absurd ist, könnte sich daher auch hier ohne weiteres vom Hundertsten ins Tausendste verlieren. Das aber ist hier und jetzt nicht unser Thema. Uns interessiert vielmehr, wie es das Steuerrecht bewirkt, daß diejenigen armutsbeseitigenden und reichtumschaffenden Handlungen, die wir Bürger „eigentlich“ durchführen möchten, erst gar nicht in die Tat umgesetzt werden.

     Die „Grundkonstellation“ derartiger steuerrechtlicher Handlungshemmnis haben wir vorstehend schon am Beispiel der sogenannten Schwarzarbeit erörtert. Danach müssen sich Bürger – Auftraggeber und Auftragnehmer – zunächst darüber Gewissheit verschaffen, ob und unter welchen Voraussetzungen ihnen die Durchführung eines bestimmten Geschäftes überhaupt tatsächlich möglich ist.

     Wenn ich Ihnen ein Pfund Kartoffeln nur mit einem Kostenaufwand von EUR 9,— in Ihr malerisches, aber weit abgelegenes Dorf nach Mecklenburg-Vorpommern bringen kann, dann mögen Sie noch so sehr bereit sein, mir EUR 5,— dafür zu zahlen; ich bin ökonomisch zwangsläufig gehindert, dieses Geschäft mit Ihnen durchzuführen. Denn mit jeder Lieferung von einem Pfund Kartoffeln müsste ich EUR 4,00 aus eigenen Mitteln zuzahlen. Nur als „Schwarzhandel“ ohne Steuern – und also durch die damit bewirkte Halbierung meiner Kosten – wäre mir möglich, mit Ihnen zu einem Handel zu kommen. Nach Abzug meiner mecklenburg-vorpommernschen Kosten in Höhe von dann noch EUR 4,50 bliebe mir von den bezahlten EUR 5,00 ein Überschuß von EUR 0,50. Ich wäre in der Gewinnzone. Meine kaufmännische Selbstzerstörung durch Zuschüsse bliebe vermieden.

    Nun stehen viele Menschen in Anbetracht der staatlichen Abgabenlasten in einem unerfreulichen Dilemma: Einerseits wollen sie nicht gegen Gesetze verstoßen, weil sie rechtstreu sein mögen oder weil sie nur die Sanktionen fürchten. Andererseits müssen sie aber auch unter der Geltung schlechter Gesetze irgendwie ihr Leben finanzieren. Dies ist dann die Geburtsstunde des Phänomens von der steuerlichen Gestaltung. Das Leben (und Überleben) muß den formalen Anforderungen der schlechten Gesetze angepasst werden, damit möglich wird, was ohne kreative Anpassung unmöglich wäre. Anders gesagt: Wenn Dir das Gesetz nicht hilft, dann musst Du dem Gesetz helfen.

    Damit werden über die Schaffung häuslicher Arbeitszimmer, die Planung privater Atombunker oder das Dachdecken mit steuerlich geförderten Solaranlagen öffentliche Gelder wieder zur nötigen Finanzierung des eigenen Hauses in die private Verfügungsgewalt zurückgeleitet. Ohne diese Maßnahmen wären diese Beträge als Steuern auf immer an den Staat verloren. Zuletzt hängen dann die eigenen Wintermäntel im luftdichten Bunkertrakt, weil sie im Bereich des Arbeitszimmers dessen steuerlich definitionsgerechte Nutzung gefährden könnten. Der hausintern solar erzeugte Strom darf aber nicht zur Beleuchtung von Keller und Büro genutzt werden. Statt dessen muß der eigene Strom subventionsoptimiert erst in das öffentliche Netz eingespeist und der selber benötigte wieder aus dem öffentlichen Netz zurückbezogen werden. Nur so „rechnet es sich“.

    Für den steuerrechtlichen Laien ergibt sich aus diesen – und ähnlichen – Konstellationen eine wesentliche Erkenntnis: Das, was rechtlich möglich ist, und das, was nach seinem Rechtsempfinden noch normal wäre, klafft meilenweit auseinander. Der einzelne beginnt daher, sich seine eigene Steuerwelt so zu konstruieren, wie er annimmt, es lasse sich legal zu seinem Vorteil regeln. Statt etwa seinem Freund B unmittelbar EUR 100.000 (schenkungssteuerpflichtig) zuzuwenden, schenkt Herr A jetzt zehn anderen Bekannten je EUR 10.000 mit der Auflage, daß diese jene Beträge dann an seinen Freund weiterschenken. Damit, so glaubt er, hat er Schenkungssteuer vermieden, weil er den steuerlichen Freibetrag von EUR 10.000 je Geschenk pfiffig zehnmal ausgeschöpft hat.

    Nun aber hat er die Rechnung ohne das Finanzamt, insbesondere ohne den berühmten § 42 unserer deutschen Abgabenordnung (AO) gemacht. Wie wir ja schon gesehen hatten, sind auch die Steuerexperten des Staates ausgeschlafene und pfiffige Diener des fiskalischen Profites. Sie schufen sich aus Gründen der Vorsicht gegen derartige Gestaltungen in weiser Voraussicht folgende Gesetzesregel:

     „Durch Missbrauch von Gestaltungsmöglichkeiten des Rechts kann das Steuergesetz nicht umgangen werden. Liegt ein Missbrauch vor, so entsteht der Steueranspruch so, wie er bei einer den wirtschaftlichen Vorgängen angemessenen rechtlichen Gestaltung entsteht.“

     ‚Was aber’, fragen Sie, ‚ist Missbrauch?’ Und was ist „angemessen“, frage ich. Im Angesicht derartiger Gesetzesbegriffe spricht der juristische Laie gerne von „Gummiparagraphen“. Und der rechtswissenschaftliche Experte sieht eine Herausforderung für die Auslegungskunst. Das Problem ist dies: Gesetzliche Normen müssen immer mit schwarz und weiß operieren, weil sie sich sonst im feinen Faserwerk der Differenzierungen verlieren. Das Leben nämlich ist nicht schwarz oder weiß, sondern es besteht aus einer unendlichen Zahl von Grautönen. Und wenn man nur genügend Juristen mit Kreativität und Phantasie ans Werk schickt, dann wird die Welt gleich auch noch bunt, in Millionen schillernden Farben.

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