Lichtschlag Bücher

Leseprobe: Roter, brauner und grüner Sozialismus

Die Entstehung des Nationalsozialismus aus der Sozialdemokratie

In seinem schon angeführten Werk hat F. A. von Hayek darauf aufmerksam gemacht, dass bezeichnenderweise die wichtigsten Vorläufer des NS, wie Fichte, Rodbertus und Lassalle, „gleichzeitig die anerkannten Ahnen des Sozialismus“ und somit der deutschen Sozialdemokratie darstellen, wobei v. Hayek bemerkenswerterweise dem Marxismus, dem er mit „seinem Internationalismus und Demokratismus“ sogar einen „gewissen liberalen Gehalt“ zuspricht, keine so große Rolle zuzuschreiben scheint. Diese Hintansetzung des Marxismus entspricht immerhin auch dem Selbstverständnis der bundesdeutschen SPD zumindest seit dem Godesberger Programm, mit dem der Marxismus als offizielle Doktrin aufgegeben worden ist und das die SPD ihren historischen Ausgangspunkt eher bei Lassalle suchen lässt. So hat sich jüngst ein Interpret des sozialdemokratischen Wertegeschehens, der frühere Linksterroristenanwalt und spätere Bundesverfassungs(schutz)minister Otto Schily auf Lassalle beziehend selbstkritisch dahingehend39 geäußert, dass in der derzeitigen SPD in Teilen noch immer eine zu große Staatsfixiertheit herrsche, von der man sich lösen müsse: „Der freiheitliche Gedanke stand bei der Gründung der SPD durch Lassalle im Mittelpunkt. Diesen Gründungsimpuls muss man wieder verstärkt aufnehmen.“ Diese Einschätzung von Lassalle durch einen bundesdeutschen Wertepolitiker ist allerdings an Ignoranz kaum zu überbieten: Ausgerechnet der überzeugte Staatssozialist Lassalle, dessen Lehre oder vielmehr Einstellung es der SPD teilweise möglich gemacht hat, sich von den utopischen Spinnereien des Marxismus etwas abzuwenden, soll den „freiheitlichen Gedanken“ ausdrücken. Wenn dies richtig wäre, dann muss man auch Adolf Hitler als Repräsentanten dieses Gedankens ansehen, ist er doch Lassalle darin gefolgt, dass Demokratie nur den Zweck habe, eine sozialistische Führerdiktatur zu institutionalisieren und zu legitimieren, was in einem traditionellen Rechts-Regime so nicht möglich war, welche deshalb durch fortschrittliche Links-Revolution hätte beseitigt werden müssen.

     Vor allem soll aber mit „Godesberg“ Eduard Bernstein den ideologischen Sieg davongetragen haben. Dieser hat vor dem Ersten Weltkrieg insbesondere mit seinem Hauptwerk „Die Voraussetzungen des Sozialismus und die Aufgaben der Sozialdemokratie“ den sogenannten Revisionismusstreit ausgelöst, indem er darlegte, dass die Voraussagen von Marx und Engels über den als geradezu naturwissenschaftlich notwendig verstandenen Zusammenbruch des Kapitalismus mit damit einhergehender Revolution, die zur sozialistischen Gesellschaft führen soll, so nicht zutreffen dürften. Für die konkrete politische Arbeit war diese detailliert dargelegte Erkenntnis mit der Forderung verbunden, den marxistischen „Attentismus“ zugunsten einer – vereinfacht gesagt – linksliberalen Reformpolitik im Zweifel mit dem Linksliberalismus, der im Interesse einer Parlamentarisierung des Kaiserreichs zu einem derartigen Bündnis grundsätzlich bereit gewesen wäre, zu überwinden. Die durch den „Revisionismus“ sichtbar gewordene Krise des Marxismus und die mit Beginn des Ersten Weltkriegs zu treffenden weit reichenden politischen Entscheidungen führten schließlich zur förmlichen Abspaltung des Kommunismus von der klassischen Sozialdemokratie. Unstreitig, wenngleich anscheinend nicht besonders bewältigungsbedürftig ist daher, dass die für das 20. Jahrhundert prägende politisch-weltanschauliche Bewegung des Kommunismus, die millionenfachen politischen Mord nach sich ziehen sollte, aus der Sozialdemokratie hervorgegangen ist. Die für totalitäre Diktaturen des 20. Jahrhunderts maßgeblich verantwortlichen Personen wie Wladimir Iljitsch Lenin, Josef Stalin, Boleslaw Bierut, Georgi Dimitroff, Bela Kun, Josef Pilsudski, Matyas Rakosi (aber auch Benito Mussolini) und Walter Ulbricht, Wilhelm Pieck und Otto Grotewohl sind durch die politische Schule der jeweiligen Sozialdemokratie gegangen, die sich weitgehend die organisatorisch erfolgreiche deutsche Sozialdemokratie zum Vorbild genommen hatte. Auch nach seiner Abspaltung teilte der Kommunismus mit der Sozialdemokratie weiterhin das sogenannte „Endziel“ der klassenlosen Gesellschaft, in der es aufgrund der Aufhebung des Privateigentums durch Vergesellschaftung keinen Staat und keine politische Herrschaft mehr geben würde, so dass alle Menschen frei, aber angereichert durch die Fortschritte der Menschheitsgeschichte zum Urkommunismus zurückkehren würden. Was jedoch die (Mehrheits-)Sozialdemokratie – mehr oder weniger – abwarten ließ („Attentismus“), weil dieser Endzustand ja ohnehin mit fast naturwissenschaftlicher Gesetzmäßigkeit kommen müsse, wenn die Lehre von Marx und Engels sich als richtig herausstellen sollte, trieb die Kommunisten – voluntaristisch – zu entschlossenem Handeln an. Diese Entschlossenheit konnte sich allerdings dadurch rechtfertigen, dass sich Marx und Engels den Übergang zu dieser freien Gesellschaftsordnung nur revolutionär, also gewaltsam-diktatorisch vorstellen konnten (mit ein paar ambivalenten Andeutungen, insbesondere beim alten Engels, dass es auch etwas weniger gewaltsam gehen könnte). Dieser Revolutionsgedanke ließ die Kommunisten zu den sie kennzeichnenden Methoden greifen, die sich durch das hehre Ziel der Menschheitserlösung rechtfertigten: Wer sich dem Sozialismus widersetzt, der doch nur das Gute will, kann nur abgrundtief böse sein und darf im Interesse der Menschheit eliminiert werden: „Zum Wohle der Menschheit muss gemordet werden!“, wie der Chefpropagandist von Stalin, Ilja Grigorjewitsch Ehrenburg, dies im Zweiten Weltkrieg in einer radikalsozialistischen Weise zum Ausdruck bringen sollte. Auf der ideologischen Ebene, gemessen an den vor-revisionistischen Auffassungen der Sozialdemokratie, kann man also den Kommunismus als die konsequentere Sozialdemokratie ansehen, die sich deshalb von kommunistischer Seite den durchaus plausiblen Vorwurf gefallen lassen musste, den Konsequenzen der eigenen Auffassungen etwa mit der SPD-Formel, wonach „die Sozialdemokratie ... eine revolutionäre, nicht aber eine Revolution machende Partei“ (Kautsky) sei, aus dem Weg zu gehen. Der SPD konnte „Verrat“ vorgeworfen werden: „Wer hat uns verraten? Sozialdemokraten!“, was in der Tat die Sozialdemokratie in eine erhebliche Defensive bringen konnte und etwa den erfolgreichen Staatsstreich („Revolution“) einer Hundertschaft von Berufsrevolutionären gegenüber der Masse an Anhängern der Sozialdemokratie im Russland von 1917 erklärt.

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